Jürgen Wulff: Hallo Arne, du bist der Entwickler des Identity Compass, einem Profilsystem, das misst, wie Menschen in beruflichen Situationen vorzugsweise denken und handeln, was sie motiviert und was sie demotiviert. Ich verwende den Identity Compass ja seit über 20 Jahren in meinen Coachings und Beratungen und weiß die Exaktheit der Ergebnisse zu schätzen. Wie macht der Identity Compass das?
Arne Maus: Der fundamentale Unterschied zu klassischen Persönlichkeitsprofilen ist, dass der Identity Compass nicht Typen misst, und diesen Typen dann einen ganzen Rattenschwanz an Eigenschaften zuweist, sondern dass wir diese Eigenschaften direkt messen. Der Identity Compass zeigt, warum Menschen tun, was sie tun. Die Präferenzen sind den meisten von uns nicht bewusst und sie stark in der eigenen Persönlichkeit verwurzelt. Aber wenn man möchte, kann man daran arbeiten, sie zu ändern. Also wenn du in einer Firma arbeiten würdest und dein Chef würde dir in einem Gespräch sagen „Herr Wulff, wir haben festgestellt, dass Sie sehr zielorientiert arbeiten, aber vielleicht wäre es für Sie möglich, dazuzulernen und zukünftig mehr problemorientiert zu arbeiten, weil wir das für ein Projekt brauchen.“ Dann würdest du wahrscheinlich sagen „Ja, warum nicht, denn dadurch entwickle ich ja meine eigene Persönlichkeit.“
Die Präferenzen umsatzstarker Menschen
Jürgen Wulff: Welche Präferenzen zeigen aus deiner Erfahrung umsetzungsstarke Menschen?
Arne Maus: Also da fallen mir ganz schnell einige Sachen ein. Das eine ist prozedurenorientiertes Denken. Menschen denken entweder möglichkeitenorientiert oder prozedurenorientiert. Möglichkeitenorientierte Menschen können sich nur schwer entscheiden, denn Entscheiden heißt, sich von allen Möglichkeiten zu trennen nur wegen einer einzigen. Und wenn man Möglichkeiten liebt, tut eine solche Entscheidung einfach weh. Das kann also den Umsetzungsprozess ziemlich behindern. Prozedurenorientierten Menschen gelingt es, einen Plan auch abzuarbeiten.
Das zweite ist Aufgabenorientierung versus Beziehungsorientierung. Natürlich brauchen wir für die Umsetzung auch Beziehungsorientierung, das heißt, wir achten als Team aufeinander und unsere Stimmung. Aber das nützt nichts, wenn wir dann die Aufgaben nicht erledigt bekommen. Viel haben wir nicht erreicht, aber wir hatten eine gute Zeit miteinander.
Jürgen Wulff: Es braucht also ein Gleichgewicht zwischen guter Zusammenarbeit im Team und der Fokussierung auf die Erledigung der Aufgaben. Wie sieht es mit dem Zusammenspiel von Vision, Realisierung und Qualitätssicherung aus? Das ist ja auch etwas, was der Identity Compass misst.
Der Kritiker braucht den richtigen Platz
Arne Maus: Kreative Menschen sind Träumer und an der Vision orientiert. Die haben hervorragende Ideen, was man tun kann. Aber bei denen scheitert es oft daran, Ideen zu haben, wie man es umsetzen kann. Ingenieure dagegen sind Menschen, die wissen, wie setze ich etwas um. Sie sind realisierungsorientiert. Und dann gibt es dann noch eine dritte Kategorie. Das sind die Kritiker, die auf Qualitätssicherung aus sind.
Nun wäre es eine ganz ungünstige Kombination für Umsetzungsstärke, hervorragende Ideen zu haben, und dann kommt der Kritiker und sagt: „Das ist aber viel zu teuer, das ist zu aufwändig, das ist sonst was.“ Das sind dann die Ideen-Killer. Das ist so etwas wie Selbstsabotage, wenn man diese Kombination hat, an erster Stelle Vision und an zweiter Stelle Kritiker. Noch schlimmer ist es, wenn der Kritiker, der ja eigentlich für die Qualitätssicherung zuständig ist, an erster Stelle steht. Der heißt einfach nichts für gut, weil er immer das Haar in der Suppe findet. Egal wie toll die ganze Sache ansonsten ist. Das, was ich hier beschreibe, gilt interessanterweise sowohl für Teams als auch für jeden Einzelnen.
Vom Problem zum Ziel
Jürgen Wulff: Du hattest es ja schon im Beispiel kurz erwähnt, die Richtung. Bin ich eher zielorientiert oder eher problemorientiert. Brauchen wir nicht beides?
Arne Maus: Ja, natürlich brauchen wir beides. Manche Umsetzung entsteht ja genau dadurch, dass wir ein Problem lösen wollen und andere Umsetzungen dadurch, dass wir etwas erreichen wollen. Es ist auch gar nicht verkehrt, mit einem Problem anzufangen. Wenn ich weiß, irgendwas stört mich, das ist schon mal gut, dass ich das wahrnehme, anstatt darüber hinwegzugehen. Dann sollte ich mir überlegen, was hätte ich denn gern stattdessen? Das wäre dann die Umschaltung auf Ziele.
Mindset: Wissen, was zu tun ist
Jürgen Wulff: Heute wird ja ganz viel von Mindset geredet, also von der richtigen inneren Einstellung, die man braucht. Man soll von dem überzeugt sein, was man vorhat. Der Identity Compass spricht hier von einer hohen internalen Referenz. Aber ich brauche doch trotzdem auch Feedback.
Arne Maus: Da muss man natürlich auch aufpassen und ein richtiges Maß an internaler Referenz finden. Eine extreme Form von internaler Referenz wäre ein Künstler, der auf der Bühne steht, seine Performance abliefert, tosenden Beifall erhält und dann mit den Worten abwinkt: „Danke ich brauche keinen Applaus. Ich kenne meine Leistung.“
Bei der Entwicklung des Identity Compass , da habe ich persönlich schon eine extrem hohe internale Referenz. Aber nichtsdestotrotz habe ich mir immer mir auch Feedback geholt von allen Teilnehmern meiner Seminare. Und von allen Menschen, die den Identity Compass je ausgefüllt haben und mit denen ich dann persönlich gesprochen habe. Aus dem einfachen Grund, um von ihnen auch zu lernen. Wenn jemand so ein Profil ausgefüllt hat, ist er ja eigentlich der Experte für sein Profil und daraus kann ich dann einfach lernen.
Jürgen Wulff: Internale Referenz gibt mir also die Sicherheit, dass ich das Richtige mache. Und externale Referenz in Form von Feedback hilft mir, zu lernen und mein Produkt zu verbessern. Es ist damit auch eine Form von Qualitätssicherung. Dadurch werde ich in der Umsetzung nachhaltigeren Erfolg haben.
Der Identity Compass ist ja selbst ein hochinteressantes Musterbeispiel für hohe Umsetzungsstärke. Wie ist er entstanden?
So entstand der Identity Compass
Arne Maus: Ich war frischgebackener Kommunikationstrainer und meine Teilnehmer wollten bei mir den Fortgeschrittenenkurs machen. Da dachte ich, ja warum eigentlich nicht, wenn sie dich schon darum bitten. Und dann kam als nächster Gedanke „Moment mal, da geht es um diese unbewussten Präferenzen im Denken und Handeln. Und die habe ich nicht verstanden. Und ich kann doch nicht etwas trainieren, was ich nicht verstanden habe.“ Da habe kreuz und quer durch Deutschland telefoniert und viele Kollegen gefragt, aber keiner konnte meine Fragen dazu beantworten. Ich bekam unisono zu hören, dass das die falschen Fragen in dem Zusammenhang seien. Der entscheidende Anstoß kam dann durch Robert Dilts. Der hate zwar auch keine Antworten, meinte aber, es müsse welche geben.
Meine Idee war es dann, die Fragen durch einen Fragebogen zu klären, den man von möglichst vielen Leuten beantworten lässt und dann statistisch auswertet.
Robert Dilts hat mir Unterlagen zur Verfügung gestellt und ich habe dann angefangen Fragen zu entwickeln. Dabei hat mir Bert Feustel aus München hervorragende Unterstützung gegeben. Wir haben dann viereinhalb Jahre an den Fragen gearbeitet. Ich wusste, dass die Fragen wirklich gut waren, aber viele potenzielle Kunden wollten trotzdem wissenschaftliche Beweise für die Richtigkeit der Ergebnisse des Identity Compass. Ich habe dann gesagt „Leute, was braucht ihr am wissenschaftlichen Beweis? Ihr müsst doch wissen, selbst wissen, ob ihr euch davon wiederfindet oder nicht. Die Wissenschaft hat so viel bewiesen in der Vergangenheit, z.B. dass die Erde ist flach ist.“ Irgendwann hatte ich einfach einen dicken Hals und habe die wissenschaftliche Untersuchung durch Professor Ansfried Weinert angestoßen, der damals an der Universität der Bundeswehr in Hamburg lehrte und der einen phänomenal guten Ruf hatte. Sein damaliger Assistent Dr. Scheffer hat sich darum gekümmert. Wir konnten sogar nachweisen, dass der Identity Compass die Motive nach David McClelland misst, die im englischen Original Power, Affiliation und Achievement heißen, also Macht, Bindung und Leistung.
Darum langfristig Denken
Jürgen Wulff: Das wäre ja ein langer Prozess von einem Problem, über die Idee bis zu einem wissenschaftlich überprüften Produkt. Heute muss ja alles schnell gehen. In einem halben Tag erstellt man eine Basisversion, nach einer Woche ist das Produkt auf dem Markt und dann verbessert man das Ganze nach und nach. Das ist bei dir ja eine völlig andere Welt. Wie hast du dich über so eine lange Zeit motivieren können, um auch die Fleißarbeit, die dahinter steht, bewältigen zu können?
Arne Maus: Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich jemand bin, der langfristig denkt und nicht nur kurzfristig. Man überschätzt ganz schnell, was man innerhalb von einem Jahr erreichen kann und man unterschätzt total, was man innerhalb von 10 Jahren erreichen kann. Dazu verhelfen natürlich auch bei mir innere Überzeugungen, wie „Nur wer aufgibt, hat verloren.“
Auch Prozeduren sind wichtig
Es gibt übrigens ein Aspekt von Umsetzungstärke, der mir fehlt. Das sind Prozeduren. Aber mein Programmierer, der den elektronischen Fragenbogen programmiert hat und mit dem ich inzwischen über 20 Jahre zusammenarbeite, der ist total prozedurenorientiert. Das ist auch gut so, weil Computer rein prozedurenorientierte Geräte sind. Wenn du auf der Tastatur ein A drückst, kannst du sicher sein, da kommt auch ein A auf dem Bildschirm und nicht immer wieder mal etwas anderes.
Jürgen Wulff: Also bei mir kommen dauernd andere Buchstaben, aber das liegt wahrscheinlich nicht am Computer, sondern an meinen Fingern.
Du hast gesagt, dass du langfristig denkst. Dann ziehst du dein Ding aber auch durch. Du bist also einerseits von deinen Präferenzen her preaktiv und dann trotzdem auch nonreaktiv, was bedeutet, dass du dich von äußeren Dingen nicht beirren lässt.
Sein Ding machen und trotzdem preaktiv sein
Arne Maus: Richtig, ja. Nonreaktive reagieren nicht auf äußere Einflüsse. Die machen einfach ihr Ding. Da fällt mir in dem Zusammenhang Steve Jobs ein. Der hat gesagt „Wie will ich es den Leuten erklären, wenn sie noch gar nicht wissen, dass sie das haben wollen?“ Er hat dann einfach Produkte entwickelt in der festen Überzeugung, dass die Leute sie haben wollen.
Jürgen Wulff: Das war also nonreaktiv.
Arne Maus: Ja, aber auch preaktiv. Er musste ja auch vorausdenken. Jeder Mensch hat ja letztendlich alle Anteile in sich. Es ist ja nicht so, dass die Menschen nur das eine oder nur das andere haben. So habe ich einmal einen preaktiven Anteil, um Ideen und vorauszudenken, das heißt dann, dass ich zukunftsorientiert bin und zukunftsorientiert denke, weil ich halt eben der Träumer bin. Steve Jobs war auf jeden Fall auch ein Träumer. Er hat Ideen im Voraus entwickelt und war da preaktiv. Er hat in die Zukunft gedacht und sich innerlich vorgestellt, wie die Dinge, die er plant, aussehen werden. Und hat dann gesagt „So machen wir das.“ und dann hat er seine Leute dazu angetrieben, das umzusetzen. Er selbst hat sich dann nicht mehr befasst. Er war zwar schon detailverliebt, aber der war nicht derjenige, der dann prozedurenorientiert die Dinge Schritt für Schritt umgesetzt hat. Dafür hatte er seine Leute.
Jürgen Wulff: Du hast ja gesagt, du bist auch nicht prozedurenorientiert. Dann brauche ich jemanden, der das für mich macht, der diese Prozeduren ganz genau umsetzt, der genau diese Geduld hat, der die notwendigen Schritte zum Ziel nacheinander auszuführen.
Arne Maus: Ganz genau. Es gibt viele Menschen, die sind mega-erfolgreich, wenn sie jemanden an ihrer Seite haben, der sie ergänzt in ihrem eigenen Denken und Handeln. Wenn sie allein wären, würden sie das nie schaffen.
Konkrete Vorstellungskraft ist der Trick
Jürgen Wulff: Du hast gerade von Steve Jobs erzählt, der sich sehr konkret vorstellen konnte, was er erreichen wollte. Konkretes Denken ist dann noch eine weitere Präferenz, die hilfreich ist.
Arne Maus: Auch Nikola Tesla war in dieser Beziehung ein Phänomen. Der Mann konnte eine Maschine in Gedanken konstruieren. Er hat sie vor dem inneren Auge so gesehen, als wäre sie ganz real. Er ist um die Maschine in Gedanken herumgegangen und hat überprüft, wie sie funktioniert. Und dann wurde sie genauso gebaut und hat dann auch funktioniert, obwohl er das nur im Kopf gemacht hat. Konkretes Denken hilft einfach dabei, die Dinge auch ganz konkret in die Umwelt reinzubringen. Egal, ob ich die nun erstmal vom inneren Auge sehe oder ob ich sie erschaffe, um zu sehen, was daraus wird.
Der Glaube an sich selbst
Arne Maus: Du hast ja mit dem Identity Compass selbst ein großes Projekt gestemmt. Er wird weltweit eingesetzt und die Umsetzung war eine erhebliche Investition an Zeit und Geld. Wenn du dir die letzten 20 Jahre vergegenwärtigst, was ist aus deiner Sicht das Wichtigste, um so ein großes Projekt erfolgreich zu stemmen.
Arne Maus: Also ich denke, dass das Wichtigste ist, an sich selbst zu glauben.
Jürgen Wulff: Ist es so einfach?
Arne Maus: Für manche Menschen ist es sehr schwierig. Aber es ist etwas, was man lernen kann. Ich weiß, wovon ich rede.