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Das Team muss für das Projekt brennen

Interview mit Frederik Braun, Unternehmer und Gründer des Miniatur Wundeslandes

Jürgen Wulff: Frederik, aus einer Idee, die du im Jahr 2000 bei einem Zürich-Besuch hattest, ist in nur 20 Jahren die weltweit größte Modelleisenbahnanlage und Deutschlands beliebteste Sehenswürdigkeit mit inzwischen über 19 Millionen Besuchern geworden. Muss man groß denken, damit man großen Erfolg haben kann?

Der Mut, abseits ausgetretener Pfade zu gehen, wird belohnt

Frederik Braun: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Superlative einen hohen Stellenwert haben. „Höher, schneller, weiter“ ist oftmals das Motto und ein zweiter Platz wird nicht selten als Niederlage gewertet. Diese Erfahrung haben auch wir mit dem Miniatur Wunderland gemacht. Ich bin zwar sicher, dass unsere Ausstellung auch ohne diesen Superlativ erfolgreich geworden wäre, aber die größte Modelleisenbahn der Welt zu sein, hat uns schon die ein oder andere Tür geöffnet und war für Besucher und auch für die mediale Aufmerksamkeit ein echter Magnet. Aber nicht nur das „groß denken“ gehört zu unserer Erfolgsformel. Wir glauben fest daran, dass man vor allem neu, innovativ und verrückt denken muss. Der Mut, abseits bereits ausgetretener Pfade zu gehen, wird belohnt.

Jürgen Wulff: Euer Vorgehen war ja trotz der Begeisterung für die Idee dennoch wohlüberlegt und methodisch. Ihr habt zunächst über das Internet 3.000 potenzielle Besucher befragt, habt nach dem idealen Standort gesucht und auch die Start-Finanzierung wurde zunächst geklärt. Hättet ihr die Idee beerdigt, wenn die Voraussetzungen für euch nicht gestimmt hätten?

Bei der Idee nachjustieren, aber keinesfalls direkt verwerfen

Frederik Braun: Wer mich kennt, weiß, dass ich mich nur schwer von etwas abbringen lasse, wenn ich es mir erst einmal in den Kopf gesetzt habe. Dennoch bin ich natürlich nicht beratungsresistent. Hätte die Umfrage damals Ergebnisse hervorgebracht, die uns nahegelegt hätten, dass die Ursprungsidee so voraussichtlich nicht funktionieren wird, wäre ich natürlich nicht blindlings ins Verderben gerannt, nur um an meiner Idee festzuhalten. Ich bin aber ein Kämpfer und in einem solchen Fall hätte das bedeutet, dass ich zwar bei der Idee nachjustiere, sie aber keinesfalls direkt verwerfe. Neben rationalen Argumenten und validen Zahlen bin ich aber auch schon immer jemand, der sehr stark auf sein Gespür vertraut. Und das hat bei dieser Idee von Anfang an gestimmt. Die rationalen Argumente, die mir die Umfrage damals geliefert hat, waren eher notwendig, um auch die Menschen zu überzeugen, mit denen ich den Traum der größten Modelleisenbahn der Welt gemeinsam verwirklichen wollte.

Jürgen Wulff: Zu eurem ersten Modellbauer-Team seid ihr über ein 2-tägiges Casting gekommen. Dabei sind dann mehr Handwerker als herkömmliche Modellbauer ausgewählt worden. Wenn man sieht, wie viel bei Euch gebaut wird, ist das verständlich. Wie steuert ihr das Team – eher hierarchisch oder setzt ihr da auf viel Autonomie und Selbststeuerung?

Das Wunderland ist eine Spielwiese, auf der jeder seine Ideen verwirklichen kann

Frederik Braun: Bei uns gibt es sehr flache Hierarchien. Eine kleine Anekdote beschreibt unseren Führungsstil vermutlich am besten. Ich wurde vor einiger Zeit für einen Vortrag rund um das Thema „Agiles Management“ angefragt, weil das Wunderland offenbar als tolles Beispiel hierfür aufgefallen war. Ich habe die Anfrage zunächst abgelehnt, mit der Begründung, dass ich keinen Vortrag über etwas halten kann, dessen Bedeutung ich erstmal googeln muss. Den Vortrag habe ich letzten Endes dann trotzdem gehalten, da ich bei meiner Recherche gelernt habe, dass die Art, wie wir das  Wunderland führen, wohl als „Agiles Management“ bezeichnet wird. Ich kann zwar nicht leugnen, dass ich sehr dominant sein kann und dass ich Ideen auch verwirklichen möchte, wenn ich sie mir erst einmal in den Kopf gesetzt habe, aber das Wunderland ist vor allem eine Spielwiese, auf der jeder seine jeweiligen Ideen verwirklichen kann. Denn unsere Projekte werden nur dann wirklich toll, wenn die beteiligten Personen voll und ganz dahinterstehen und Freude an der Umsetzung haben. Dafür muss sich das Team zwangsläufig selbst mit einbringen. Ich würde also sagen, dass Autonomie und Selbststeuerung bei uns keine expliziten Strategien sind, die wir uns in Seminaren angeeignet haben, sondern dass sie einfach in der Natur des  Wunderlandes liegen und dem Wesen unserer Mitarbeiter entsprechen.

Das Team muss für das Projekt brennen und Spaß haben

Jürgen Wulff: Sehr viel, was bei euch entstanden ist und entsteht, ist weltweit einmalig, wie die Feuerwehr, die Brände in Knuffingen löscht, der Flughafen mit startenden und landenden Flugzeugen oder die sich öffnende Elbphilharmonie mit sich bewegenden Musikern. Das sind ja alles Projekte innerhalb des großen Projektes Miniatur Wunderland, die einen zum Teil erheblichen Aufwand in der Realisierung bedeuten. Was ist das Erfolgsgeheimnis, um solche schwierigen Teilvorhaben zu realisieren?

Frederik Braun: Damit solche Vorhaben und Projekte ein Erfolg werden, ist es unerlässlich, dass das beteiligte Team an die Idee glaubt, für das Projekt brennt und Spaß an der Verwirklichung hat. Denn wenn die Emotionen stimmen, können auch größere Hürden genommen, Herausforderungen bezwungen und Rückschritte überwunden werden. Für uns ist auch der Ehrgeiz etwas Neues und Einzigartiges zu schaffen, immer wieder ein großer Ansporn. Wenn uns etwas gelingt, werden wir durch die Begeisterung unserer Besucher und leuchtende Kinderaugen belohnt – das motiviert ungemein.

Auch Scheitern gehört dazu

Jürgen Wulff: Habt ihr auch schon mal so ein Projekt ganz abgebrochen oder entwickelt ihr die Idee weiter, bis es sich realisieren lässt?

Frederik Braun: Klar, auch das Scheitern gehört dazu, wenn man den Anspruch hat, innovativ zu sein und sich stets weiterzuentwickeln. Einfach aufzugeben liegt allerdings nicht in unserer Natur. Wenn wir mit dem ersten Versuch scheitern, muss eben ein zweiter oder dritter her. So lief es zum Beispiel bei unserem Vorhaben einen feuerspeienden Ausbruch des Vesuvs in unseren Italien-Abschnitt zu integrieren. Erst unser dritter Ansatz hat endlich zufriedenstellende Ergebnisse geliefert. Dazu musste die bisherige Arbeit aber komplett verworfen werden und wir mussten wieder von vorne beginnen. In diesem Fall wurden wir mit einer spektakulären Attraktion für unsere Anlage belohnt, aber oftmals führt auch der dritte Neustart in eine Sackgasse. Dann muss man sich irgendwann natürlich eingestehen, dass etwas nicht funktioniert. In solchen Fällen wenden wir uns dann erstmal neuen Projekten zu und lassen das Vorhaben ruhen. Manchmal arbeitet ja auch die Zeit für einen und beispielsweise entwickelt sich mitunter auch die benötigte Technik weiter.

Junge Besucher im Miniatur Wunderland
Credit: Miniatur Wunderland

Wir achten auf die Emotionen und Bedürfnisse unserer Gäste

Jürgen Wulff: Wenn ich mir die Anlage heute ansehe, die Organisation der Besucherströme, eure Webseite und die Öffentlichkeitsarbeit, dann habe ich den Eindruck, dass ihr stark aus Kundensicht denkt und handelt. Ihr wollt alle zufriedenstellen: Kinder, Frauen, Männer, jüngere und ältere Besucher. Es wirkt alles übersichtlich, gut durchdacht und kundenfreundlich. Dazu gehört auch die flexible Gestaltung der Öffnungszeiten, die sich nach der Nachfrage richtet. Meine über 80 Jahre alte Mutter hat bei euch übrigens zusammen mit meiner nur 10 Jahre jüngeren Tante auf den eigentlich für Kinder gedachten Holzbalken gestanden, um alles ganz genau sehen zu können. Sind die wahren Stars bei euch die Besucher und denkt ihr deswegen immer von den Besuchern aus?

Frederik Braun: Diese Beobachtung trifft es recht gut. Wir achten tatsächlich sehr auf die Bedürfnisse unserer Besucher und schauen jeden Tag aufs Neue, was sie benötigen, um sich bei uns wohlzufühlen. Dabei ist es sehr wichtig zu beachten, dass jeder Besucher seine ganz eigenen Bedürfnisse mitbringt. Die 80-jährige Frau braucht etwas anderes als das kleine Kind oder der junge Mann mit einem körperlichen Handicap. Um den unterschiedlichen Personengruppen gerecht zu werden, versuchen wir stets, die Perspektive zu wechseln und unsere Ausstellung „durch ihre Augen“ zu sehen und zu besuchen. Bei uns klappt das am besten durch den direkten Kontakt zu den Besuchern. Ich selbst arbeite dafür regelmäßig in den unterschiedlichsten Abteilungen mit, stelle mich zum Beispiel an die Eingangskasse und erfahre dort unmittelbar, wie die Besucher reagieren, was sie stört, was sie vermissen oder worüber sie sich freuen. Unser  Wunderland-Team besteht aus ganz vielen empathischen Leuten, die genau diese Emotionen unserer Gäste wahrnehmen und darauf eingehen. Dadurch wird das  Wunderland jeden Tag ein Stückchen besser.

Lass dich nicht von Skeptikern vom Weg abbringen

Jürgen Wulff: Frederik, wenn jemand heute eine Idee hat, die er oder sie umsetzen möchte, worauf sollte man nach deiner Erfahrung mit dem Miniatur Wunderland achten? Was sind deine wichtigsten Tipps?

Frederik Braun: Mein wichtigster Tipp ist es, selbst an die Idee zu glauben und sich nicht durch Skeptiker vom Weg abbringen zu lassen. In Deutschland herrscht diesbezüglich eine nicht ganz einfache Mentalität vor. Denn oftmals hört man als erste Reaktion auf eine Idee erstmal ein „Ja, aber…“. Es liegt in dieser Mentalität, erstmal nach Fallstricken und Stolpersteinen zu suchen und erst dann widmet man sich den positiven Aspekten einer Idee. Darauf sollte man sich einstellen, wenn man die eigene Idee vorstellt und damit auch zur Bewertung freigibt. Es wird immer erstmal das Haar in der Suppe gesucht. Auch bei mir ist das so gelaufen. Ich habe meine Idee von der größten Modelleisenbahn der Welt damals im gesamten Freundes- und Bekanntenkreis erzählt und unglaublich viel Gegenwind bekommen. Kaum einer hat an die Idee geglaubt. Der Tenor war eher: „Du spinnst doch.“ Das kann natürlich schon entmutigen. In meinem Fall war es aber der größte Ansporn und im Nachhinein auch der größte Erfolg. Denn es ist mir gelungen all die Zweifler, Nörgler und Skeptiker eines Besseren zu belehren.

Unsere Planungen sind das Resultat von Ideen, Wünschen und Besucherfeedback

Jürgen Wulff: Wenn ihr das Miniatur Wunderland weiterentwickelt, wie geht ihr da vor? Ich habe gesehen, ihr habt die nächsten Abschnitte schon geplant. Wie entstehen die neuen Ideen und wer entscheidet darüber, wie es weitergeht?

Frederik Braun: Unsere Planungen der nächsten Jahre sind ein Resultat aus Ideen und Wünschen aus dem Team und dem Besucherfeedback, das uns auf unterschiedlichen Wegen erreicht. Je näher der tatsächliche Bau eines neuen Abschnitts rückt, umso konkreter werden die Pläne. Gerhard Dauscher, der Leiter unseres Modellbaus, arbeitet zu Beginn der Bauphase einen Plan des neuen Abschnitts aus, in den er die Ideen aus den unterschiedlichen Teams einfließen lässt. Gemeinsam modifizieren wir dann noch ein wenig, dann wird aber losgelegt. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass die besten Ideen ohnehin „on the fly“ entstehen. Der Bauprozess selber bringt so viel Inspiration, sodass zwar ein Grundgerüst unbedingt notwendig ist, es aber noch genügend Freiheiten geben soll, damit sich alle Beteiligten bei der Verwirklichung auch kreativ einbringen können. Das ist es nämlich, was das Wunderland später so vielseitig und spannend für die Besucher macht.

Brückenschlag
Brückenschlag am 14.07.2020 zum gegenüberliegenden Speicherblock, wo neue Miniaturwelten entstehen werden, Credit: Miniatur Wunderland

 

Unser Horizont endet nicht an den „Grenzen“ des Wunderlandes

Jürgen Wulff: Neben dem eigenen Erfolg denkt ihr aber auch an andere. Seit 2007 gibt es Sammel-Pins und seit 2010 Sammel-Magnete, deren Erlös für den guten Zweck gespendet wird. Weitet die Beschäftigung mit den Sorgen anderer den eigenen Horizont und profitiert ihr so auch davon?

Frederik Braun: Es ist uns ein großes Anliegen, dass unser Horizont nicht an den „Grenzen“ unseres Wunderlandes endet. Und wenn man darüber hinaus nach links und rechts blickt, findet man in unserer Welt und in unserer Stadt zahlreiche Missstände und sieht Bedarf für Unterstützung. Für uns stellt sich immer wieder die Frage, wie wir mit möglichst einfachen Mitteln unkompliziert helfen können. Die Spendenpins und -magnete waren so eine Antwort darauf. Denn wir können sie mit vergleichsweise wenig Aufwand produzieren und für unsere Besucher sind sie ein schönes Souvenir von ihrem Wunderland-Besuch. Und dabei werden auf ganz einfachem Wege Spenden für gemeinnützige Zwecke generiert. Eine klassische Win-Win-Situation. Genauso verhält es sich mit unserer Aktion „Ich kann mir das nicht leisten“. Hierbei erhalten alle Besucher während des Aktionszeitraums kostenlosen Eintritt, wenn sie sich diesen nach eigenen Angaben nicht leisten können. Die Aktion findet bei uns traditionell im eher ruhigen Januar statt, in dem wir so gesehen die ohnehin freien Kapazitäten nutzen und sie den Menschen anbieten, für die ein Wunderland-Besuch anders nicht möglich wäre. Die Mehrkosten, die dadurch entstehen, bleiben sehr überschaubar und wir tragen sie gerne. Denn was uns im Gegenzug an Dankbarkeit und Herzlichkeit entgegengebracht wird, ist mit Worten kaum zu beschreiben.

Frederik Braun

Frederik Braun kam am 21. Dezember 1967 zur Welt. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Gerrit begann er schon als kleiner Junge groß zu denken. Während anfangs noch Projekte wie ‚die größte Micky-Maus-Heft-Sammlung der Welt‘ im heimischen Kinderzimmer in Angriff genommen wurden, widmeten sich die Brüder im Jahr 2000 schließlich der Realisierung ihrer visionären Idee, die ‚größte Modelleisenbahn der Welt‘ zu bauen. Was vom Umfeld zu Beginn als weltfremde Träumerei abgetan wurde, ist jedoch Wirklichkeit geworden: Das Miniatur Wunderland in Hamburg ist mit jährlich rund 1,4 Millionen Besuchern nicht nur die weltgrößte Modelleisenbahnanlage, sondern auch eine der erfolgreichsten und beliebtesten Ausstellungen Europas.

www.miniatur-wunderland.de

 

Buch - Gesagt ist nicht getan

Dieses Interview wurde im Rahmen des Buches „Gesagt ist nicht getan“ von Jürgen Wulff geführt.