Jürgen Wulff: Heiko, du hast mir erzählt, dass du schon in jungen Jahren beruflich immer das erreicht hast, was du dir vorgenommen hast. Wie hast du das geschafft?
Heiko Zieroth: Letztendlich habe ich mit Anfang 20 einfach andere Kriterien angesetzt, was für mich wichtig ist im Leben. Ich habe dann festgestellt, dass ich viele Dinge erreichen kann. Da ging es dann um solche Sachen wie Geld oder Einfluss oder durchaus auch Autorität, die ich ausüben durfte. Und heute, 25 Jahre später, sieht es anders aus. Aber ich habe zu der Zeit einfach andere Prioritäten gehabt in meinem beruflichen Leben. Und ich habe festgestellt, dass ich über bestimmte Hebel, die ich ansetze, meine Ziele erreichen kann und dass das auch durchaus im äußeren Umfeld eine hohe Aufmerksamkeit erzeugt. Das war zu der Zeit mit Anfang 20 tatsächlich recht wichtig für mich.
Business-Netzwerke sind Teil des Systems
Jürgen Wulff: Du hast gerade die Hebel erwähnt. Welche Hebel waren denn das? Hast du abends visualisiert, was du erreichen willst, oder wie hast du das gemacht?
Heiko Zieroth: Wenn du in den Business-Bereich reinkommst, dann verstehst du, dass du über bestimmte Mechanismen einfach zu deinem Ziel kommst. Wenn du zum Beispiel ein bestimmtes Business-Netzwerk aufbaust, also Menschen kennenlernst, die eine bestimmte Relevanz haben und damit auch in deinem Karriereweg eine Rolle spielen oder zum Empfehlungsgeber für dich werden, dann hast du schon viel richtig gemacht. Das sind Mechanismen, die verstehst du, wenn du in diesem System drin bist. Du lernst sie auch sehr aktiv für dich und deine persönliche Weiterentwicklung zu nutzen. Anders formuliert, ich habe immer an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit richtigen Menschen kennengelernt und habe auch dafür gesorgt, dass ich sie kennenlerne, um auch meine Ziele entsprechend durch sie mit zu erreichen.
Ich hatte nur die Idee, erfolgreich zu sein
Jürgen Wulff: Also Leute kennenlernen und aktives Netzwerken. Aber gleichzeitig muss man doch auch eine klare Vorstellung haben von dem, was man möchte. Oder würdest du sagen, lass es einfach auf dem Weg geschehen?
Heiko Zieroth: Aus der Rückschau nach über 25 Jahren kann ich sagen, ich hatte nicht viele Ideen. Ich hatte nur die Idee, erfolgreich zu sein. Das hat mich ganz stark angetrieben. Und Erfolg definierte sich dann automatisch auch immer in höheren Gehaltsklassen, in einem besseren Auto, in einer höheren Anzahl an Menschen, die du führst, in höherer Machtausprägung, in stärkerer Einflussmöglichkeit und Mitbestimmungsmöglichkeit, die du hast. Das hat mich tatsächlich angetrieben. Heute weiß ich, warum das so war, und habe aber sehr stark an mir gearbeitet und bin sehr stark in die Selbstreflexion, einen Selbsterforschungs- und Selbsterkundungsprozess gegangen. Aber damals habe ich das nicht verstanden, sondern habe es einfach nur gemacht, und es war erfolgreich. Ich war angetrieben von diesem Gedanken, immer mehr davon haben zu wollen.
Wahnsinn, was ich mir da angetan habe
Jürgen Wulff: Aber man muss doch, um Erfolg zu haben, auch Leistung bringen. Wie würdest du sagen, wie viel davon war Repräsentieren nach außen und Netzwerken und wie viel war Leistung erbringen?
Heiko Zieroth: Interessanterweise war Leistung erbringen ein Nebenprodukt für mich. Ich habe auf keine einzige Stunde jemals geachtet. Ich habe sozusagen rund um die Uhr gearbeitet. Ich bin über jedes natürliche Maß hinausgegangen, auch in den ungesunden Bereich, auch in den roten Bereich rein. Das war aber gar nicht wichtig für mich. Wichtig war immer, welches Resultat und damit einhergehend auch welche Anerkennung oder welche von außen kommende Zuwendung resultiert daraus? Und solange das für mich gestimmt hat, bin ich immer wieder in ein manchmal auch unerträgliches Maß von Leistung gegangen, von dem ich heute sagen würde, das ist Wahnsinn. Wahnsinn im Sinne von, was habe ich mir da angetan. Aber zu der Zeit war das so. Du hast natürlich mit Anfang 20 eine andere Lebensenergie zur Verfügung. Fairerweise muss ich das auch dazu sagen, du hast auch nicht die Bindung, als dass jemand dann regelmäßig auf dich wartet, sondern ich bin dann einfach an jedes Limit gegangen, weil die Möglichkeit dazu auch aus dem Umfeld heraus eben da war. Und ich habe jetzt in der Rückschau festgestellt, dass der Freundeskreis oder auch der Familienkreis immer eher respektvoll zu mir geblickt hat, was ich da alles so auf die Beine stelle. Das war noch zusätzlich eine positive Zuwendung und Rückmeldung, die ich bekommen habe, die das dann auch weiter verstärkt hat. Die fanden das auch toll, und das hat das Ganze natürlich nochmal befeuert. Das ist, als wenn du in einen Kamin noch mehr hochenergetischen Brennstoff reinpackst. Dann fliegt das Ding so richtig ab. Das hat das Ganze noch mehr erhitzt. Dass andere aus meinem privaten Umfeld auch gesagt haben, „Wow, toll, was du alles schaffst! Respekt, das würde ich nicht schaffen.“, das ist dann etwas, was dir dann noch zusätzlichen Zündstoff gibt.
Ich habe gelernt, auf die Signale des Körpers zu achten
Jürgen Wulff: Nun sind 25 Jahre vergangen. Wie siehst du das heute? Was ist heute anders für dich? Bist du immer noch so, oder hast du einen anderen Weg beschritten?
Heiko Zieroth: Ich muss gerade ein bisschen schmunzeln bzw. lachen. Wenn ich für etwas brenne, dann kann es mir durchaus passieren, dass ich immer noch in dieses Muster falle, an jedes Limit zu gehen. Das ist für mich nicht immer gesund. Ich habe aber in den letzten 25 Jahren immer mehr gelernt, darauf zu achten, welche Signale mir mein Körper sendet und wo es sich lohnt, diese Signale richtig zu deuten, damit ich auch einmal anhalte oder unterbreche und dem Leistungsthema nicht mehr so nachrennen muss. Das ist aber tatsächlich ein langer Prozess gewesen. Im Nachhinein möchte ich sagen, ich habe einfach sehr viel mehr über mich selbst erfahren. Ich bin stark in die Selbstreflexion gegangen, um zu verstehen, was mich eigentlich antreibt. Was sind die Muster, die mich, mein Handeln und mein Verhalten bestimmen? Und wie unterbreche ich gegebenenfalls die Muster, damit es nicht schädlich für mich wird. Ist das ein Thema, was sehr stark in den Vordergrund tritt und mich beeinflusst, obwohl ich das gar nicht will? Erst weiß ich es vielleicht nicht, aber schließlich weiß ich es und wenn ich es weiß, dann frage ich mich, wie unterbreche ich es dann, damit es mich nicht mich nicht krank macht oder mir sonstwie schadet?
Meine Prioritäten haben sich total verändert
Jürgen Wulff: Wie ist denn heute deine Einstellung zum Materiellen, zum Luxus und zum Repräsentieren nach außen?
Heiko Zieroth: Es hat sich komplett verändert. Die Prioritäten haben sich komplett verändert. Ich möchte heute Zeit mit lieben, liebevollen Menschen verbringen! Das erfüllt mich. Ich denke da immer sofort an meine Patenkinder, die es schaffen, mich so zu vereinnahmen, dass ich den materiellen Gedanken nicht im Ansatz spüre. Da merke ich aber Erfüllung. Das ist heute einfach eine völlig andere Interpretation von Lebensqualität, Lebensglück und Erfüllung. Da geht es mehr um Dinge, die ganz weit weg von Materialismus oder von Macht oder Einflussnahme sind. Das ist einfach leben und einfach glücklich sein und einfach etwas spüren, was mich tief erfüllt.
Manchmal wirst du in Business-Systemen quasi hochgespült
Jürgen Wulff: Du begleitest ja heute Führungskräfte verschiedener Ebenen, sowohl diejenigen, die gerade Führungskraft werden, als auch Geschäftsführer auf ihrem Weg. Stellst du fest, dass diese Menschen vor ähnlichen Entscheidungen, Problemen, Herausforderungen stehen, wie du damals oder du auch heute?
Heiko Zieroth: Ja, das stelle ich fest. Diese Menschen werden immer wieder bei mir angelandet. Sie sind dann oft aber älter und auch noch erfolgreicher. Die haben finanziell oftmals ausgesorgt, haben ihr Haus, haben ihr Auto, haben ihr Auskommen. Sie haben ihre Zukunft zumindest von der materiellen Seite her gesichert, stellen aber fest, dass es eine gewisse Unzufriedenheit, eine Leere, eine Nichterfüllung gibt. Das ist auch der Punkt, weswegen sie mir kommen, weil sie feststellen: „Ich habe eigentlich alles, von außen wird an mich herangetragen, wie toll das ist, was ich da habe und was ich aufgebaut habe, wie wertvoll das augenscheinlich ist, aber ich fühle mich einfach nicht rundum glücklich. Ich spüre, dass etwas fehlt.“ Und damit kommen tatsächlich insbesondere hochdekorierte Manager heute zu mir, und das nimmt zu, habe ich den Eindruck. Eines ist auch klar: Du wirst manchmal in Business-Systemen quasi hochgespült. Wenn du die Netzwerke aufbaust, wenn du die Leistung erbringst, wenn du die Leistungsmechanismen bedienst, dann ist der Karriereweg im Grunde vorgezeichnet. Dann kommst du von einer Rolle in die nächste. Und es wird automatisch alles irgendwie größer. Die Anzahl der Menschen, die du verantwortest, wird größer, die Gehälter werden größer, die Machtverhältnisse, die du beeinflussen darfst, werden größer, gegebenenfalls wird die Internationalität größer. Das kommt dann fast schon fast automatisch zu dir. Du musst „nur noch“ diese ganzen Mechanismen bedienen, und dann geht es automatisch dahin.
Du rückst immer mehr von deinem Ich ab
Aber du rückst eigentlich immer mehr von deinem wahren Ich ab. Das nutzt einen sehr stark ab und du bist nicht mehr an deinen wahren Bedürfnissen dran. Es geht aus meiner Sicht sehr stark um Bedürfnisse, um wahre, tiefliegende innere Bedürfnisse. Das kann sicherlich sowohl für Männer als auch für Frauen zutreffen, aber es betrifft aus meiner Sicht sehr häufig Männer, die in dieser Karriereschleife gefangen sind. Die denken, ich bringe meinen Beitrag für meine Familie und deswegen muss das auch so sein. Ohne jetzt die klassischen Rollenbilder aufzumachen, aber es ist ganz oft so, dass der Mann sich dann verantwortlich fühlt und deswegen bereit ist, diesen Karriereweg und den immer stärker werdenden „Wahnsinn“ einzugehen, weil das eben auch ein Teil Verantwortung zu sein scheint, die ihm zugeschrieben wird oder die er sich selbst zuschreibt. Dann gehört das eben irgendwie so dazu.
Symptome bitte ernst nehmen
Jürgen Wulff: Wenn du betrachtest, welchen Karriereweg du beschritten hast, was du heute anders lebst, und das, was du von den Führungskräften erfährst, die du begleitest, was ist die Quintessenz? Wenn ich etwas erreichen will, wie weit sollte ich gehen und wo sind Grenzen wie z.B. gesundheitliche Grenzen, die du schon erwähnt hast?
Heiko Zieroth: Also meistens gibt es ja bereits entsprechende Auslöser oder Anzeichen oder sogar Symptome. Was ich dringend empfehlen möchte, ist, wenn jemand Symptome spürt, was immer es denn auch sei, dann bitte diese ernst nehmen und nicht nur die Antwort in körperlicher Interpretation suchen. Also, dass ich jetzt einen Bandscheibenvorfall habe oder ähnliches. Das mag sicherlich sein, dass sich das so ausdrückt, aber ich bin der festen Überzeugung, dass die psychosomatische oder psychologische Interpretation eben auch sehr wichtig ist. Ich empfehle den Menschen, sich dann Unterstützung zu holen durch jemandem, der die entsprechende Qualifizierung und Erfahrung mitbringt und da einen Einblick vorzunehmen. Also zu schauen, wo stehe ich gerade? Was ist meine momentane Lebensbasis und von woher wird vielleicht ein körperliches Symptom begünstigt durch eine psychosomatische oder psychologische Geschichte, die im Untergrund mitläuft und die durchaus eine sehr hohe Relevanz haben kann – und in den meisten Fällen auch hat.
Frage dich, woran es liegt, wenn dich etwas nicht glücklich macht
Jürgen Wulff: Ich sollte also auf meinen Körper und meine Symptome achten bei all dem, was ich mir vornehme und typische Warnzeichen wahrnehmen.
Heiko Zieroth: Ja, absolut. Das ist manchmal der Rücken, das ist ganz oft das Pfeifen im Ohr, das ist manchmal ein Schwindel. Natürlich gibt es körperliche Symptome und auch Erkrankungen ohne diesen psychologischen oder psychosomatischen Hintergrund. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass das eine oft mit dem anderen einhergeht oder sogar das eine Auslöser von dem anderen ist. Deswegen empfehle ich tatsächlich schon bei einem Gefühl von fehlender Erfüllung und dem Gefühl, dass einen etwas nicht glücklich macht, sich selbst ernsthaft zu fragen, woran das liegt. Und wenn ich dann das Gefühl habe, ich komme selbst nicht weiter, weil ich keine Antwort finde, jemanden dazu zu nehmen, der mir da hilft. Das kann man vielleicht auch erst jemand aus dem nahen Umfeld sein, ein Freund oder eine andere Vertrauensperson. Wenn es dann irgendwann akuter oder stärker wird, kann es dann auch der Coach, der psychologische Berater oder der Psychotherapeut sein.
Wir brauchen Leidenschaftslaufbahnen in Unternehmen
Jürgen Wulff: Nun kann es ja sein, dass ich diesen Karriereweg beschritten habe, weil ich einfach vom Elternhaus so sozialisiert wurde, weil meine Freunde alle in der Startup-Szene oder im Management sind. Alle folgen quasi einem gemeinschaftlichen Konsens oder einem aktuellen Trend. Das persönliche Glücksempfinden korreliert aber nicht unbedingt mit dem, wenn ich das mache. Obwohl ich so sozialisiert wurde und die Umstände gewohnt bin, kann es trotzdem sein, dass ich damit unglücklich bin.
Heiko Zieroth: Ja, absolut, das korreliert im Zweifel überhaupt nicht, und das ist dann eine gefährliche Dramaturgie, die das Leben schreibt. Wir sprechen oft über die Karriere-Laufbahnen, die in die in Richtung Fachlichkeit oder Führung gehen. Ich würde Unternehmen heute raten, eine Leidenschaftslaufbahn zu entwickeln. Was mögen die Menschen wirklich tun? Wofür brennen sie? Und wie kann ein entsprechender Karriereweg darauf abgestimmt aussehen? Und dann, glaube ich, ist eine andere Art von Erfüllung und sogar eine andere Art von Gesundheit möglich. Und auch eine andere Art von Leistungsfähigkeit, weil Leistung mit einer anderen Identifikation und Überzeugung passiert. Ich bin im Grunde das beste Beispiel dafür. Aber ich bin hochgradig zufrieden und leistungsbereit, weil ich tun darf, was ich tun will und nur das tue. Das ist auch deswegen ein Teil meiner Realität, weil ich selbstständig bin. Menschen zu begleiten, Menschen zu qualifizieren, Menschen weiterzuentwickeln, Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, ist für mich die Leidenschaft, die ich im Verlauf meiner beruflichen Laufbahn identifiziert habe und die ich zu 100 Prozent liebe. Ich will nichts anderes mehr machen, weil mich das einfach unglaublich erfüllt. Und es gibt mir etwas zurück, was mir Geld oder Macht oder Einfluss oder Öffentlichkeit niemals zurückgeben kann. Niemals. Das ist eine völlig andere Art von Erfüllung. Aber darauf erst einmal zu kommen, ist im Grunde der wesentliche Prozess-Schritt.
Gemeinsam langfristig profitieren statt nur Shareholder Value
Jürgen Wulff: Was müssten Unternehmen denn ändern, damit so etwas möglich wird? Es wurde ja schon in den Neunzigerjahren gefordert, die Unternehmensziele mit den persönlichen Zielen und der Leidenschaft der Menschen zu verbinden. Ist denn das überhaupt möglich, wenn man in einem harten globalen Wettbewerb steht?
Heiko Zieroth: Wir alle erleben ja, wie die Welt tatsächlich tickt da draußen, wonach Unternehmen heute ausgesteuert sind. Im Zweifel ist es der Shareholder-Value, der Gewinn, der zu erzielen ist. Wir sind weit entfernt von einer Vision, die glücklich macht gegenüber dem, was Aktionäre oder Eigentümer mit dem Unternehmen verdienen wollen. Das ist ein starkes Spannungsfeld, das aufzulösen ist. Wenn ich leistungsorientierte, glückliche, erfüllte Mitarbeiter haben will, dann stelle ich mich dem Thema. Gewinn ist das eine, das andere ist, dass alle gemeinsam langfristig profitieren. Beides bringe ich zusammen und frage, was ist zu tun? Was können die Leute? Was möchten die Leute? Wofür brennen die Leute und setze sie „leidenschaftsadäquat“ ein. Das wäre großartig. Dann hätten wir beides geschafft. Dann würden wir den Gewinn erwirtschaften, den die Unternehmen erwirtschaften müssen. Und wir hätten die Menschen, die glücklich, erfüllt und zufrieden sind und die voller Energie mitgehen, aber mit dem nötigen Bewusstsein für die eigene Gesundheit und für die eigene Körperlichkeit, sodass es sich unmittelbar auch wieder auf Gewinn und auf Umsatz oder auch auf Wachstum auswirkt. Das ist die These. Aber davon sind wirklich die meisten Unternehmen extrem weit entfernt.
Ich kann mir trotzdem nebenbei meine Wünsche erfüllen
Jürgen Wulff: Und selbst wenn Unternehmen diesem Pfad folgen würden und Leidenschaftskarrieren ermöglichen, kann es ja trotzdem vorkommen, dass ich ein anderes Herzensanliegen habe, was gar nicht im Unternehmenskontext realisieren lässt, wie beispielsweise ein halbes Jahr auszusteigen, um in Kanada Rafting und Hiking zu machen.
Heiko Zieroth: Ich finde, das lässt sich kombinieren. Wenn ich es schaffe, ein Business aufzubauen, zu betreiben oder dafür verantwortlich zu sein, kann ich mir trotzdem nebenbei meine Wünsche erfüllen. Ganz viele Menschen arbeiten mit Visionboards und visualisieren ihre Ideen, was sie noch alles machen wollen in ihrer Restlaufzeit, wie ich es nenne, also dem, was von der Lebenszeit noch übrigbleibt. Dann kann ich das wunderbar miteinander kombinieren und mich fragen, wie kann ich das eine tun, ohne das andere zu lassen? Und wie kann ich da zu der Erfüllung kommen? Wenn ich lange Zeit nur immer Leistung, Leistung, Leistung erbringe und meine persönlichen Ziele, Wünsche, Sehnsüchte, dieses tiefliegende, tiefsitzende Bedürfnis, was ich unbedingt machen möchte, aus den Augen verliere, dann habe ich mich irgendwann schon sehr weit von mir selbst und von meinem Inneren entfernt. Je weiter das auseinandergeht, umso schwieriger wird es, das wieder aufzugreifen. Deswegen: Bleibe da dran und setze regelmäßig Dinge um, die dir wirklich auch guttun und für die du eine Leidenschaft hast. Ich versuche es auf jeden Fall immer miteinander zu kombinieren und finde da für mich auch immer Lösungen und Antworten, wie ich das schaffen kann.
Frage dich „Will ich eigentlich so sein?“
Jürgen Wulff: Wenn man sich jetzt ganz weit von sich selbst entfernt hat, wie du das so schön ausgedrückt hast, wie finde ich dann zu mir zurück? Mit kommt da das Bild von Tom Hanks im Film „Cast away – Verschollen“ in den Sinn. Man ist dann sozusagen auf einer weit entfernten Insel und in einem nicht mehr besonders guten Zustand, immer in der Gefahr körperlich wie psychisch vor die Hunde zu gehen. Da ist es ja gar nicht so leicht, sich daraus zu befreien. Wie kann das seiner Meinung nach trotzdem gelingen? Brauche ich eine Auszeit und gehe beispielsweise ins Kloster?
Heiko Zieroth: Dankeschön erst einmal für das Bild mit Tom Hanks. Oft ist es dann wirklich so, dass dieser Mensch zu mir kommt und von der Sonne ausgemergelt ist und abgemagert und blass und sehr, sehr stark betroffen ist. Ich spiegele ihm das über die Methode der konstruktiven Provokation. Was ich dann mache ist, die Menschen sanft, aber eindrücklich darauf hinzuweisen, was ich gerade sehe. Das ist dann ein erster Schmerzpunkt, aber es ist ein kontrollierter und durch mich smart überwachter Prozess. Bei dem wird sehr sanft, aber bestimmt gespiegelt. Und dann geht es eigentlich schon in die Selbstreflexion. Die Person fragt sich: Will ich eigentlich so sein? Will ich eigentlich so wirken? Will ich eigentlich so aussehen? Und dann stelle ich Fragen, wie zum Beispiel „Wann hast du denn das letzte Mal ganz tief etwas empfunden? Wann hast du etwas gefühlt, wann hast du was gespürt? Wann hast du dich gespürt? Wann warst du das letzte Mal so richtig glücklich? Wann warst du im tiefen Inneren?“ Viele sagen dann erst einmal, „Das ist alles Quatsch!“ Sie sind dann erst einmal im Widerstand. Aber ich bleibe sanft, aber bestimmt weiter dran: „Gib dir noch mal eine Chance, lass uns doch mal eintauchen. Wo gab es Situationen, die so stark waren, dass dir die Tränen geflossen sind, weil du so glücklich warst in dem Moment?“
Interessanterweise kommt dann irgendwann ein Bild. Und dann sind wir auch zum Lösungsweg und zu neuen Ideen. Was müsste, auf die heutige Zeit übertragen, sich aufbauen, was die Person vollumfänglich glücklich macht und einfach empfinden kann, eine tiefe Zufriedenheit und eine tiefe Glückseligkeit? Ich bin überhaupt nicht spirituell, mir geht es tatsächlich um reale Erlebnisse. Ich möchte Erlebnisse schaffen, die Menschen nachhaltig glücklich und wirklich zufrieden machen und die etwas mit ihnen machen, in einer tiefen Verbundenheit mit ihnen selbst.
Sich selbst auf die Spur kommen mit der „Superheldenreise“
Jürgen Wulff: Du hast gerade beschrieben, wie man sich selbst auf die Spur kommt. Dann habe ich irgendwann die Einsicht und vielleicht das eigene Herzensanliegen gefunden. Wie schaffe ich es aber, auf diesen neuen Weg zu kommen und nicht wieder in das alte Muster zurückzufallen, vielleicht auch mit dem bekannten Argument der berühmten Sachzwänge: „Ich habe da ja mein teures Haus. Ich habe meine Familie und gesellschaftliche Verpflichtungen wie beispielsweise im Golfklub.“ Wie bekommt man dann den Bogen auf den neuen Weg?
Heiko Zieroth: Das ist eine gemeinsame Reise. Mein Bühnenprogramm heißt ja „Superheldenreise“, weil ich glaube, dass es eben auch ein Teil des Weges ist, auf Entdeckungsreise zu gehen. Manchmal dauert der Prozess sehr lange, sich die Frage zu stellen, immer wieder zurückzufallen ins alte Muster, die Frage wieder aufzugreifen und dann irgendwann an einem Punkt anzukommen, an dem man bereit ist, einen Schalter umzulegen, um etwas Bestimmtes anders zu machen oder sogar alles anders zu machen. Ich beobachte, dass die Menschen durch das Business sehr stark abstumpfen und abgeschliffen werden und so ihre Kanten verloren gehen. Es geht darum, diese Kanten wiederzuentdecken und zum Rohmaterial zurückzukehren, zum Rohmaterial Mensch, um wieder die Ecken und Kanten zu erkennen, die jemanden auszeichnen und die jemanden als Persönlichkeit und Individuum wirklich beschreiben. Ich erlebe sehr oft, dass gewisse Business-Konformitäten aufgebaut sind, die Menschen abnutzen. Das ist eine sehr starke soziale Konditionierung, die da stattgefunden hat, über ganz viele Jahre, ganz oft durch die bestrittenen Karrierewege. Dann auf die Entdeckungsreise zu gehen, die Superheldenreise, ist genau der Weg. Aber das setzt natürlich eine Bereitschaft voraus, und viele Manager wehren sich erst einmal dagegen. Die sagen „Das ist alles Quatsch! Wie soll das denn gelingen? Das kann ich mir gar nicht vorstellen!“ Da kommt oft so eine Art Übersprungshandlung wie „Das will ich dann auch gar nicht! Das dauert mir alles zu lange, und es muss doch schneller gehen! Und ich habe gar keine Idee, welche Methode da jetzt richtig funktioniert und ob das überhaupt geht.“ Und dann wird es erst einmal wieder verworfen. Dann kommen sie aber wieder darauf zurück. Ich bin sehr geduldig mit diesen Menschen und glaube an den positiven Verlauf. Das ist auch meine generelle Lebens- und Berufseinstellung, dass am Ende alles gut wird und dass es sich lohnt, die Geduld zu haben. Ich habe sehr oft erlebt, dass es gelingt. Ich stelle halt immer wieder Fragen. Immer wieder die richtigen Fragen zu stellen, ist hoch wirkungsvoll.
Viele geben Ihre Bedürfnis-Welt an der Garderobe ab
Jürgen Wulff: Wenn man sich Zeit zum Orientieren nimmt, Zeit zur Reflexion, dann kann ich ja, zunächst einmal mir selbst die richtigen Fragen stellen. Bin ich glücklich? Wo ist meine Leidenschaft? Was brauche ich wirklich von all den materiellen Dingen? Welche Menschen möchte ich um mich haben? Und dann auch die Frage, wie ich die Situation nach und nach verändern kann.
Heiko Zieroth: Viele geben ihre Bedürfnis-Welt, wenn sie ins Business-Theater oder auch ins Familien-Theater gehen, an der Garderobe ab. Sie lassen sie dort und vergessen, dass sie es dort abgegeben haben. Sie holen es nicht wieder. Dabei kannst du jederzeit hingehen, die Garderobe hat dein Leben lang geöffnet. Vielleicht hast du den Garderobenschein nicht mehr, aber du kannst die Bedürfnisse beschreiben und du kannst sie dir zurückholen. Die Garderobe hat geöffnet, geh dahin und hole deine Bedürfnis-Welt zurück, deine wahre innere Bedürfnis-Welt. Und wenn du sie dann wieder in den Händen hält, dann denkst du vielleicht, „Die ist aber eingestaubt. Die hatte ich aber anders in Erinnerung. Das ist ja Wahnsinn, wie die aussieht und in welchem Zustand sie heute ist.“ Aber du kannst sie wieder für dich nutzen.
Eine schöne Metapher für das, was ich tun kann, was aber viele aber vergessen und irgendwann auch gar nicht mehr machen, weil sie denken, „Die Garderobe ist jetzt geschlossen. Da kann ich doch jetzt immer hingehen. Das ist doch albern.“ Nein, ist es nicht. Bitte geh hin und hol dir deine Bedürfnisse von der Garderobe ab. Bitte mache es!