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Konzepte sind kein Anachronismus

Interview mit Robert Nobiling, Experte für Verwaltungsfragen

Jürgen Wulff: Herr Nobiling, Sie haben mehrere hundert Konzepte in Ihrer langjährigen Karriere im öffentlichen Dienst gesehen, von denen aber nur ein gutes Dutzend wirklich erfolgreich umgesetzt wurde. Was läuft da nicht richtig?

Es gibt häufig ein Führungsversagen am Anfang

Robert Nobiling: Häufig liegt es schon an einem falschen Start. Da wird von Führungskräften die Konzeptarbeit zur Lösung eines aktuellen Problems einfach an Mitarbeiter delegiert, denen man zutraut, ein Konzept zu erstellen. Und dann tritt ein gewisses Führungsversagen ein. Die Führungskraft nimmt sich nicht mal gut zwei Stunden Zeit, um die eigenen Erwartungen deutlich zu machen. Was möchte ich denn geklärt haben? Was möchte ich mit dem Konzept erreichen? Welches Ziel verfolge ich? Mache ich das, gebe ich auch den Mitarbeitern Sicherheit, was nicht Teil des Konzepts ist. Die Mitarbeiter selbst werden ja auch noch Fragen haben. Vielleicht haben sie auch eine andere Sicht auf die Idee oder das Problem. Dann fehlt aber die Zeit, das mit der Führungskraft unter vier Augen in Ruhe zu besprechen. Und die Konzepte, die am Anfang nicht gut geklärt sind, sind auch die Konzepte, die am Ende nicht gut umgesetzt werden.

Es kommt zudem nicht selten vor, dass man bei der Umsetzung mit Widerständen rechnet und deswegen im Konzept sehr allgemein formuliert und keine konkreten Schritte beschreibt und keine Aktionspläne. So bleibt offen, wer was genau macht und bis wann. Auch diese Konzepte haben schlechte Chancen für eine erfolgreiche Umsetzung, weil man zu sehr im Allgemeinen bleibt.

Auch heute braucht man noch Konzepte

Jürgen Wulff: Sind vielleicht Konzepte in der heutigen Zeit, wo wir doch alle agil und kurzfristig agieren sollen, ein Anachronismus?

Robert Nobiling: Auch heute braucht man noch Konzepte, trotz einer sehr agilen Welt, einfach auch aus dem Grund, um Dinge gut überlegt und strukturiert anzugehen. Sonst fehlt die Basis für eine gute Einschätzung, wie man einem Problem begegnen soll. Man hat mehrere Lösungsideen im Kopf, weiß aber eigentlich nicht so genau, ob man das Problem richtig verstanden hat und ob die Ideen tragfähig sind. Und da macht eine strukturierte Herangehensweise mit einem Konzept auch heute noch ziemlich viel Sinn.

Ein Bild vermittelt einen Eindruck

Jürgen Wulff: Wie startet man am besten? Sollte man zunächst die Idee, das Thema einmal genauer umreißen?

Robert Nobiling: Ja, das ist tatsächlich der beste Ausgangspunkt. Die Problemstellung und die Idee klar zu beschreiben. Gerne auch ein Bild dazu malen. Visualisieren ist immer gut, damit man einen Eindruck erhält, wie breit oder wie groß das Thema ist und welche Facetten es hat. Das Bild beantwortet die Frage, ob die Lösungsidee dann tatsächlich das trifft, worum es geht. Das ist eine gute Ausgangsbasis für das Konzept.

Jürgen Wulff: Das sollte ich dann aber nicht im stillen Kämmerlein machen, sondern schon bei der Visualisierung andere Personen dazunehmen, damit ich mehr Ideen dazu bekomme.

Robert Nobiling: Das bietet sich an, weil man Feedback zu seiner Idee oder zu seiner Darstellung erhält. Und das in anderen Worten oder auch mit anderen sprachlichen Bildern. Man erfährt vielleicht auch etwas, was man bisher gar nicht bedacht hat.

Was ist der Gewinn für mich und für andere?

Jürgen Wulff: Die Frage nach dem Nutzen muss ich doch auch schon im ersten Schritt anschauen und beantworten.

Robert Nobiling: Man muss sich den Nutzen anschauen und sich fragen, was ist der Gewinn für mich, was ist der Gewinn für andere? Die Antwort muss dabei gar nicht mal Typische sein, dass etwas schneller geht oder die Qualität besser ist. Auch weiche Begriffe taugen dafür, zum Beispiel die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder das Image, sowohl im Hause selbst als auch bei Bürgerinnen und Bürgern.

Jürgen Wulff: Man will von einem Ist-Zustand zu einem Zielzustand. Also muss ich im Konzept deutlich machen, was nach der Umsetzung anders sein soll.

Robert Nobiling: Das ist immer der Leitgedanke. Was ist denn der Punkt, den ich ändern oder verändern möchte? Wo bin ich jetzt? Was stellt gerade mich vor die Herausforderung? Was genau ist das Problem? Und was ist eigentlich der Zustand oder die Situation, die ich erreichen möchte? Und was genau ist die Veränderung?

Man braucht eine Grundstruktur

Jürgen Wulff: Das heißt, ich brauche schon auch schon eine grobe Gliederung, also vom Thema bis hin zur Umsetzung.

Robert Nobiling: Genau. Im Prinzip muss man sich eine gewisse Grundstruktur zurechtlegen. Die beginnt mit der Idee oder mit der Problemstellung. Was ist eigentlich der Gegenstand des Konzepts? Dann kommt hinzu, dass ich Informationen zusammenstelle, bei denen ich mir gut überlegen muss, wie sehr ich ins Detail gehe. Wie weit fasse ich das Thema? Woher hole ich mir überall Informationen? Was sind gute Quellen? Und dann wird es noch einmal schwieriger. Das, was wichtig ist von dem, was nicht wichtig ist, zu trennen, Informationen zu verdichten und zu bewerten. Ich muss entscheiden, wo bringe ich ein Beispiel im Konzept und wo lasse ich Details weg, weil sie einfach nicht hilfreich sind.

Generelle Infos und Details

Jürgen Wulff: Mitarbeiter könnten dazu neigen, zu sehr in Details zu gehen, weil sie das Thema auch umfassend darstellen und bewerten möchten.

Robert Nobiling: Aus Sicht der Mitarbeiter ist dieses Verhalten verständlich. Mitarbeiter sind aufgrund ihrer Fachkenntnisse in einigen Punkten viel dichter dran als Führungskräfte. Vielleicht möchten sie der Führungskraft auch ihr Wissen beweisen. Aber das Konzept muss auch für jemanden, der bisher nichts damit zu tun hatte, noch informativ, verständlich und nicht überfrachtet sein. Dazu braucht es ausgewogene Mischung aus generellen Informationen und Details. Die Führungskraft sollte sich deshalb am Anfang ausreichend Zeit nehmen und mit den Mitarbeitern in den Austausch zu gehen. Wie umfangreich soll das Konzept sein? Wie viele Seiten hat man denn vielleicht im Kopf? Schon da können die Vorstellungen sehr weit auseinandergehen.

Den Ausführenden sollte man nicht das Denken abnehmen

Jürgen Wulff: Wie viele Seiten hat aus Ihrer Erfahrung typischerweise ein gutes Konzept?

Robert Nobiling: Ein Konzept mit nur drei, vier Seiten greift sicher zu kurz bei den komplexen Problemen, die man heutzutage hat. Konzepte mit deutlich über 50 Seiten sind nachher schon so detailliert, dass es der Umsetzung eher im Wege steht, weil man sich in den Details und in den Beschreibungen verliert. Wenn sich im Konzept ein Minischritt an den nächsten reiht, wirkt es schnell so, als wolle man den Ausführenden das Denken abnehmen. Ein Konzept von 15 bis 30 Seiten ist in den meisten Fällen ausgewogen, was das Bedürfnis von konziser Beschreibung und ausreichender Detailtiefe angeht.

Andere einbeziehen, damit sich die Umsetzungswahrscheinlichkeit erhöht

Jürgen Wulff: Sie haben es eben schon einmal angedeutet, es kann Widerstände im eigenen Hause geben, und zwar vor allem dann, wenn ich mich nicht ausreichend um die Interessen, Bedürfnisse der anderen Beteiligten kümmere. Ich kann kaum etwas gegen den Willen der Beteiligten umsetzen. Also muss ich sie einbinden.

Robert Nobiling: Auf gar keinen Fall sollten man das Konzept allein im stillen Kämmerlein schreiben, nur im eigenen Büro. Man muss sich überlegen, wer betroffen ist und wie stark. Die Betroffenen sollte ich einbinden, indem sich interviewe, konsultiere und mir Feedback hole. Das kann dazu führen, dass ich eine gute Lösungsidee, die ich ursprünglich hatte, nicht mehr verfolge, sondern andere Ideen aufgreife. Wenn die Ideen der anderen deutlich besser sind, weil sie das Problem eleganter lösen, Auswirkungen oder Aufwand reduzieren, etwas schneller oder leichter erreichen lassen, dann trennt man sich besser von der eigenen Idee. Beziehe ich die Ideen der anderen mit ein, erhöht das die Umsetzungswahrscheinlichkeit, weil sie ihre Ideen und Vorschläge wiedererkennen. Und hinter diesen Ideen und Vorschlägen stehen sie ja, sonst hätten sie sie nicht gemacht.

Kontraste deutlich machen

Jürgen Wulff: Kill your darlings, halte dich nicht an deinen liebgewonnenen Vorstellungen fest. Nun gibt es sich widerstreitende Ansichten, durchaus auch in der eigenen Organisation. Da sagt die eine Abteilung das eine, andere Abteilungen etwas anderes. Wie geht man damit um?

Robert Nobiling: Es ist zu empfehlen, diese unterschiedlichen Sichtweisen auf das Problem auch so im Konzept aufzunehmen und das, was zueinander im Widerspruch steht, darzustellen. Diese Kontrastinformation hilft nachher, sich auch mit unterschiedlichen Lösungen zu beschäftigen. Ein Konzept dient unter anderem dazu, ein einheitliches Problemverständnis zu fördern. Damit ist ein Teil der Konzeptarbeit schon gemacht.

Man sollte auch unterschiedliche Lösungsansätze im Konzept gegenüberstellen und sie dann mit einer Bewertung versehen. Das hilft den Entscheidern, weil mehrere Alternativen zur Auswahl stehen. Sie können ihre eigene Bewertung vornehmen und sich für eine der Möglichkeiten entscheiden.

Welches Ziel wird mit den Umsetzungsschritten verfolgt?

Es ist auch immer gut, sich die Frage zu stellen, ob an der Beschreibung der einzelnen Umsetzungsschritte immer noch deutlich wird, welches Ziel damit verfolgt wird. Das hilft mir zu erkennen, ob sich die Sicht auf das Problem verändert oder ob Schritte, die ich geplant habe, gar nicht die gewünschte Wirkung entfalten. Das kommt dann über den Abgleich mit der ursprünglichen Zielsetzung zum Vorschein. Wenn ich meine Umsetzungsschritte immer am Ziel, an der angedachten Lösung orientiere und konkret so fasse, dass sie auch damit abgeglichen oder gemessen werden können, dann erleichtert das die reale Umsetzung.

Jürgen Wulff: Ein Konzept kann ich ja unterschiedlich gliedern. Häufig bietet sich eine chronologische oder auch eine logische Reihenfolge an, in Bezug die Wirksamkeit der Maßnahmen bezogen auf den erhofften Nutzen.

Robert Nobiling: Man tut sich mit dem logischen Ablauf oder auch mit der chronologischen Reihenfolge immer leichter. Aber man kann natürlich auch mal einen Abgleich machen aus der Ausgangslage heraus und sich fragen, wo der Handlungs- oder Problemdruck am größten ist. Wenn ich das in den Mittelpunkt stelle, komme ich dann zu einer anderen Umsetzungsreihenfolge. Ein typisches Beispiel für eine solche Vorgehensweise wäre ein Notfallkonzept. Da steht immer die konkrete Gefahrenabwehr im Vordergrund und danach erst andere Schritte. Mit der Gegenüberlegung ausgehend vom Handlungsdruck kann ich abgleichen, wie durchdacht meine angedachte Umsetzung tatsächlich ist.

Ein Beispiel aus der Praxis: Die Dateiablage

Jürgen Wulff: An welchem Konzept arbeiten Sie derzeit in Ihrem eigenen Verantwortungsbereich?

Robert Nobiling: Da geht es um unsere digitale Ablage. Ein Telefonat mit der IT-Abteilung förderte zutage, dass innerhalb der letzten vier Jahre zwölf unterschiedliche Ablagen mit mehr als 2800 Ordnern und über 60 000 Dateien entstanden sind. Das ist ein schönes Beispiel für unser Thema. Man hat für diese elektronischen Ablagen kein Konzept gehabt, sondern den Leuten die digitale Ablage einfach an die Hand gegeben, und dann hat sich verselbstständigt. Und jetzt stehen wir vor der Herausforderung, aus diesen 12 Ablagen eine einzige zu machen, die für alle passt. Dadurch, dass es sehr komplex ist und man aus den vorhandenen Ablagen noch etwas übernehmen will, wird man um ein Konzept nicht herumkommen.

Jürgen Wulff: Wie wollen Sie für das Konzept vorgehen?

Robert Nobiling: Die Idee ist, dass jeder Bereich, der eine Ablage hat, ein bis zwei Mitarbeiter in einen Workshop entsendet. Unter Anwendung von Design Thinking soll eine einheitliche Ablage, die den Bedürfnissen aller Bereiche gerecht wird, konzipiert werden.

Jürgen Wulff: Geben Sie einen Rahmen vor oder lassen Sie als Führungskraft völlige Freiheit?

Robert Nobiling: Ich denke, man sollte als Führungskraft einen Rahmen vorgeben und die eigenen Vorstellungen so konkret wie möglich umreißen. Erwartungen, wie reduzierte Komplexität, Übersichtlichkeit, Schnelligkeit im Suchen und Finden, die kann man meines Erachtens als Führungskraft schon deutlich kommunizieren. Ich wünsche mir zum Beispiel, dass wir in der elektronischen Ablage nach Möglichkeit nicht mehr als drei Ebenen nach unten gehen. Ich möchte spätestens mit drei Klicks am Ziel sein und nicht endlos durch Ordnerstrukturen navigieren. Aber innerhalb dieser Leitplanken sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Denken völlig frei. Für die Mitarbeiter wird auch sehr schnell klar, dass trotzdem noch ein großer Gestaltungsspielraum vorhanden ist, den sie konzeptionell ausfüllen können. Wenn man eine gute Auftragsklärung miteinander macht, dann hat man einerseits Mitarbeiter, die sich freuen, dass sie etwas gestalten und ausgestalten können und andererseits wird man als Führungskraft später nicht enttäuscht, wenn man das Konzept bekommt.

Umsetzungsstärke bedeutet, über das Tagesgeschäft hinauszublicken

Jürgen Wulff: Nun haben Sie in Ihrer Karriere schon ganz viele Menschen erlebt, Führungskräfte wie normale Mitarbeiter. Was macht für sie eine umsetzungsstarke Person aus?

Robert Nobiling: Also eine umsetzungsstarke Person ist für mich jemand, die im Tagesgeschäft nicht untergeht und noch einen Überblick über das Tagesgeschäft hinaus behält, Ziele und Projekte konsequent verfolgt und dort auch Fortschritte erzielt.

Jürgen Wulff: Letzte Frage, Herr Nobiling. Wenn Sie den öffentlichen Dienst betrachten, was wünschen Sie sich, damit der öffentliche Dienst noch umsetzungsstärker wird?

Robert Nobiling: In der Regel ist im öffentlichen Dienst das Personal knapp bemessen und weiche Faktoren, Veränderungsprozesse oder neue Arbeitsformen sind in der Regel nicht mit eingepreist. Das führt dazu, dass man bei Projekten immer nur vor der Wahl steht, die Arbeitszeit der Beteiligten an anderer Stelle zu beschneiden oder die Qualität zu reduzieren. Da wünsche ich mir tatsächlich mehr Spielraum beim Personalansatz, um ausreichend Ressourcen für die Herausforderungen der Zukunft zu haben.

Robert Nobiling

Robert Nobiling ist Experte für Verwaltungsfragen. Der ausgebildete Verwaltungswirt hat langjährige Erfahrung in der Sozialverwaltung und der Führung großer Organisationseinheiten mit mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Von 2011 bis 2018 war er Personalleiter bei der Bundesagentur für Arbeit in Hamburg. Derzeit arbeitet er als Geschäftsführer des Jobcenters Steinburg. Robert Nobiling glaubt, dass die öffentliche Verwaltung kommunikationsstarke Führungskräfte braucht, die Probleme aktiv anpacken und praktikable Lösungen suchen. Entscheidungen und Risiken sieht er dabei als bereichernde Herausforderungen, denen Führung nicht aus dem Weg gehen darf.

Buch - Gesagt ist nicht getan

Dieses Interview wurde im Rahmen des Buches „Gesagt ist nicht getan“ von Jürgen Wulff geführt.