+49 (0) 40 68 91 58 91

Denke immer in Lösungen

Interview mit Stephanie Selmer, Expertin für Change-Kommunikation

Jürgen Wulff: Stephanie, du bist Experten für Change-Kommunikation. Veränderungen sind ja häufig ein wichtiger Teil von Umsetzungsprozessen. Wobei unterstützt du Unternehmen?

Stephanie Selmer: Ich helfe dabei, dass Mitarbeiter in den Unternehmen bei Veränderungen mitgehen und dass das Management sich in Veränderungsprozessen nicht Arbeit macht, die vermeidbar wäre.

Klare Kommunikation schlägt alles

Jürgen Wulff: Worauf kommt es aus deiner Erfahrung in der Kommunikation gerade bei Change-Prozessen am meisten an?

Stephanie Selmer: Es ist tatsächlich die klare Kommunikation. Die schlägt alles andere. Vielleicht erinnerst du dich noch daran, dass im November 2015 in Hannover ein Fußballstadium geräumt wurde, weil es konkrete Hinweise auf einen möglichen Terroranschlag gab. Der damalige Innenministers de Maizière verzichtete in der dann einberufenen Pressekonferenz darauf, Details zu nennen, da Teile der Antwort „die Bevölkerung verunsichern” würde. Das ist das Schlimmste, was man machen kann, dass man Informationen hinterm Berg hält, weil man meint, dass die Menschen damit nicht umgehen können.

Das gilt auch in Veränderungsprojekten. Wenn man als Unternehmer oder als Führungskraft nicht weiß, wo es genau hingeht und was passieren wird, ist es völlig in Ordnung zu sagen „ich weiß nicht, was kommt. Ich weiß nicht, wie es am Ende aussehen wird, aber ich kann euch versprechen, dass ich euch immer sage, was gerade aktuell ist und dass ich euch keine Informationen vorenthalte und dass ich das Beste rausholen will, was für möglich ist.“ Das ist das Wichtigste, was man machen kann.

Gerüchte darf man nicht laufen lassen

Jürgen Wulff: Wenn ich an Change-Prozesse denke, fällt mir natürlich sofort die Veränderungskurve ein. Vor der Verkündung einer größeren Veränderung brodelt schon die Gerüchteküche und In dem Augenblick wo du die Veränderung oder etwas Unangenehmes verkündest, stehen die Menschen unter Schock und die Produktivität sackt erst einmal ab. Sollte man das trotzdem im Sinne der klaren Kommunikation in Kauf nehmen?

Stephanie Selmer: Das musst du sogar in Kauf nehmen. Sobald die Gerüchte angefeuert sind, kann es nur noch schlimmer werden. Wenn man die Gerüchte laufen lässt, dann rutschen die Betroffenen noch viel tiefer in das Tal der Tränen rein, als sie das sowieso schon tun werden.

Wertschätzung gehört auf jeden Fall dazu

Jürgen Wulff: Aber geht es nicht auch darum, den Menschen wertschätzend zu begegnen, um sie mitzunehmen? Muss ich mich nicht auf ihre Sorgen und Befürchtungen einlassen, damit ich sie mitnehmen kann?

Stephanie Selmer: Ja, absolut. Es ist eine Art von Menschenliebe. Ich muss natürlich dem Unternehmen und damit auch den Menschen im Unternehmen Gutes wollen und wohlgesonnen sein. Dazu gehört auf jeden Fall Wertschätzung.

In diesem Rahmen ist es entscheidend, dass die Führungskräfte dass die Change-Maker in den Unternehmen die Menschen dazu bringen in Lösungen zu denken. Dass man nicht versucht, sich lange in dem Problem, in der Sorge, in der Angst zu suhlen, sondern sie ermächtigt, wieder ins Handeln kommen. Und das gelingt am besten, wenn die Betroffenen in Lösungen denken.

Wie kann ich die Situation verschlimmern?

Jürgen Wulff: Das klingt jetzt so einfach, in Lösungen zu denken. Für viele steht ja das Problem im Mittelpunkt und die Gedanken kreisen genau da herum. Deswegen beschäftigen sich Menschen mehr damit und bleiben häufig mit den Gedanken darin stecken. Wie gelingt es deiner Erfahrung nach am besten, diesen Teufelskreis zu verlassen?

Stephanie Selmer: Eine Möglichkeit ist, die Sache einfach umzudrehen und sich Gedanken über eine Verschlimmerung der aktuellen Situation zu machen. Was kann ich jetzt an einer bestimmten Stelle tun, damit der ganze Prozess völlig in den Sand gesetzt wird? Daraus entwickelst du konkrete Maßnahmen, indem du das genaue Gegenteil davon unternimmst. Und das kannst du dann austesten.

Es ist am Anfang gar nicht entscheidend, welchen Schritt du auswählst

Jürgen Wulff: Das ist die berühmte Kopfstand-Technik.

Stephanie Selmer: Genau. Dann hilft es an das Beste denken. Was wäre der ideale Zustand und was sind die Schritte dahin? Dann sollte man genau diese kleinen Schritte planen, um den idealen Zustand zu erreichen. Ich verwende immer gern das Bild einer Blume. Du hast in der Mitte die Blüte, das ist die Ausgangssituation und verschiedene kleine mögliche Schritte drumherum, die Blätter, die alle von der Ausgangssituation erreichbar sind. Und dann gehst du einen dieser Schritte. Es ist am Anfang gar nicht entscheidend, welcher der Schritte es ist, den du dir auswählst. Du gehst diesen einen Schritt und dann überprüfst du, inwieweit du dem Idealzustand näher gekommen bist.

Kleine Schritte und schauen, wo ich gerade stehe

Jürgen Wulff: Dir kommt es also darauf, dass die Menschen ins Handeln kommen und konkrete Maßnahmen und Einzelschritte überlegen und dann wie beim agilen Vorgehen testen, messen und bewerten.

Stephanie Selmer: Ja, das ist in einer Welt, die stark im Wandel ist, sehr wichtig geworden. Also kleine Schritte zu machen, um dann immer wieder zu schauen, wo ich gerade stehe. Ist es besser oder Ist es schlechter als vorher? Denn wenn ich viel plane und  viel auf einmal umsetze und hinterher merke, das ist doch nichts geworden, dann muss ich sehr viele Schritte zurückgehen. Das ist viel schlimmer, als in kleinen Lösungsschritten zu denken und diese zu gehen. Da sind dann auch Fehler nicht so dramatisch.

Gib als Change-Maker den Leuten ein Bild

Jürgen Wulff: Das heißt aber auch, dass man eine gewisse Unsicherheit aushalten können muss. Denn ich kenne vielleicht den Idealzustand, aber die Schritte dahin bleiben im Nebel und werden erst durch Austesten, Messen und Bewerten gefunden. Dazu gehört dann auch eine gute Portion Durchhaltevermögen.

Stephanie Selmer: Deswegen sind die klare und auch die wertschätzende Kommunikation und die Ehrlichkeit so wichtig. Gib als Change-Maker den Leuten ein Bild. Wie soll es in der Zukunft am besten aussehen? Was wollen wir überhaupt erreichen mit diesem Projekt? Dann sag Ihnen, ich weiß die Schnitte da noch nicht. Aber wir werden sie zusammen alle erforschen.

In kleinen Schritten denken, um Fehler schnell zu erkennen

Jürgen Wulff: Deine Kunden kommen ja vor allem aus der Pharma- und Medizintechnik-Industrie. Für die ist so ein exploratives Vorgehen nachvollziehbar, da diese Unternehmen selbst forschen. Gleichzeitig kann ich mir aber doch nicht leisten, nicht nachhaltig zur arbeiten. Wie stellst du das in deiner Arbeit sicher?

Stephanie Selmer: Ganz einfach: Testen, testen, testen. Zusammen mit Kunden und Nutzern. Ich denke dabei immer an eine meine erste Session mit Lego Serious Play zurück. Das kennst du wahrscheinlich, die ernsthafte Variante von Lego zur Verdeutlichung von Prozessen und Zusammenarbeit. Damals ging es darum, dass wir als Gruppe einen Flughafen bauen sollten und unter anderem eine Garage für den Flughafen-Transporter. Das eine Team baute den Transporter, das andere die Garage. Da merkten wir schon nach der ersten Runde von zwei Minuten, dass die Garage für den Transporter zu klein war. So konnten wir das ganz schnell korrigieren. Das ging aber nur, weil wir miteinander geredet haben und einen schnellen Test durchgeführt haben, bei dem nur das Fundament der Garage ausgelegt worden war. Es ist wirklich wichtig, in kleinen Schritten zu denken, um Fehler schnell zu erkennen.

Verschiedene Kommunikationskanäle nutzen

Jürgen Wulff: Du hast die Kommunikation angesprochen. Ist mündliche Kommunikation der schriftlichen Kommunikation überlegen?

Stephanie Selmer: Das lässt sich pauschal gar nicht sagen. Das ist von Mensch zu Mensch, von Organisationsform zu Organisationsformen unterschiedlich. Es gibt unter meinen Kunden einfach Bereiche, da sind die Leute überhaupt gar nicht in der Lage, persönlich irgendetwas sich abzuholen, also zu irgendeiner Messe zu gehen oder ähnliches. Die sind darauf angewiesen, dass sie das asynchron erfahren, möglicherweise sogar in der Kantine ein Poster lesen. Also prüft man am besten alle Kanäle und wählt dann die wirksamsten aus.

Jürgen Wulff: Die Umsetzung kommt ja besonders gut in Fahrt, wenn es gelingt, Menschen nicht nur zu überzeugen, sondern zu begeistern. Welche Maßnahmen empfiehlst du dafür?

Stephanie Selmer: Über asynchrone Kommunikation ist Begeisterung ganz schwer herzustellen. Da ist ein Town Hall Meeting, eine Mitarbeiterversammlung, eine Live-Präsentation eines neuen Systems viel effektiver. Darüber kommt die Begeisterung.

Als Manager muss ich das, was ich fordere, selbst leben

Ich muss das als Führungskraft leben. Ein Manager muss das, was er von seinen Mitarbeitern fordert, selbst genauso umsetzen. Ich erinnere mich an ein Unternehmen. Da gab ein neues Messengersystem. Jeder sollte jeden einfach anschreiben können, wenn man von jemanden etwas brauchte. Das System wurde für alle Mitarbeiter und Führungskräfte freigeschaltet, außer für die oberste Führungsebene, ungefähr 20 Personen. Die durften weiterhin anonym und unerreichbar bleiben. Das Klima war auch so, dass sich auch kaum getraut hätte, diese obersten Leute anzuschreiben, selbst wenn er die Möglichkeit gehabt hätte. Damit war der gewünschte Effekt des Systems, die Kommunikation im Unternehmen von der Hierarchie zu befreien, gescheitert.

Eine positive Einstellung und Humor helfen

Jürgen Wulff: Du wirkst auf mich von deiner Art her sehr positiv gestimmt. Hilft eine positive Grundeinstellung bei der Umsetzung von Projekten?

Stephanie Selmer: Wahrscheinlich hilft eine positive Einstellung immer im Leben. Bei mir scheint auch nicht immer die Sonne, aber an manchen Dingen kann ich nichts ändern. Die muss ich dann einfach so nehmen. Andere Sachen kann ich versuchen umzubauen, wenn es in meiner Macht liegt. Aber es hilft mir überhaupt nicht, wenn ich mich, wenn ich mich in einer negativen Situation verliere. Ich habe mir vor kurzem die Schulter gebrochen. Ich kann also meinen einen Arm nicht so richtig heben und nur wie ein T-Rex winken. Mehr geht nicht. (lacht) Siehst du und schon müssen wir lachen darüber.

Ich habe mir die Schulter gebrochen, da gibt es eigentlich nichts zu lachen. Ich muss jetzt drei Monate damit leben, bis das alles wieder weg ist. Ich kann mich darüber ärgern, dass so vieles nicht geht, oder darüber lachen. Es wird an der an der Zeit der Heilung nichts ändern und an der Tatsache an sich nichts ändern. Aber es macht sie einfacher.

Fang an, mach kleine Schritte und akzeptiere, was nicht zu ändern ist.

Jürgen Wulff: Da höre ich viel Humor und Akzeptanz heraus. Offensichtlich eine gute Kombination, um auch durch schwierige Phasen zu kommen. Wenn du jetzt die Erfahrungen deiner Arbeit in den Unternehmen zusammenfasst. Was sind deine wichtigsten Tipps, um ins Umsetzen zu kommen?

Stephanie Selmer: Als erstes: Fang an! Versuche irgendeinen Schritt. Suche nach Lösungen, nicht nach Problemen. Versuche aus dem Problemdenken herauszukommen und einen ersten Lösungsschritt zu unternehmen. Denke immer in Lösungen!

Der zweite Tipp ist: Mache kleine Schritte. Je kleiner er ist, desto einfacher kannst du einen Fehler wieder zurückbauen. Und es tut überhaupt gar nicht weh. Fehler passieren überall und wir müssen uns davon lösen, dass keine Fehler passieren dürfen. Die gehören einfach dazu. Das wissen wir doch alle seit unserer Kindheit.

Behalte deinen Humor und akzeptiere, was nicht zu ändern ist. Sieh alles, was dir passiert, ob gut oder schlecht, als Geschenk an und lerne, wo auch immer du etwas lernen kannst. Suche dir das Beste heraus und adaptiere es in passender Weise für dich. So kannst du dich immer neu erfinden.

 

Stephanie Selmer

Stephanie Selmer begleitet seit über 10 Jahren Veränderungsprojekte in Unternehmen. Ihr Wissen und ihre Impulse gibt sie als Consultant und Vortragsrednerin weiter. Ihre Schwerpunkte sind die kulturelle Veränderungen durch die Digitalisierung und das Auflösen von Silodenken in Unternehmen. Dafür hat sie ein System entwickelt, mit dem Unternehmer und Führungskräfte alle notwendigen Werkzeuge für schrittweise Veränderungen an die Hand bekommen.

www.stephanieselmer.com

 

 

Buch - Gesagt ist nicht getan

Dieses Interview wurde im Rahmen des Buches „Gesagt ist nicht getan“ von Jürgen Wulff geführt.